Extremwetter: Frühwarnung mit System

Europa ist durch Dürren oder Starkregen besonders stark betroffen. KI kann Frühwarnsysteme für Extremwetterereignisse und deren Folgen unterstützen und dadurch Schäden minimieren.

Auf den Punkt gebracht:

  • Besonders große Klimaschäden: Der jüngste Klimabericht des europäischen Erdbeobachtungsdienst Copernicus zeigt, dass Europa durch den Klimawandel besonders stark von Extremereignissen, wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen betroffen ist.
  • Ähnliche Wetterextreme, unterschiedliche Folgen: Dürren, Starkregen und andere Extremwetterereignisse  können in verschiedenen Ökosystemen und menschlichen Siedlungen sehr unterschiedliche Folgen haben.
  • Effektive Frühwarnung mit KI: Künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten, die Schäden von Extremwetterereignissen mithilfe eines integrierten Systems überall auf der Welt mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung vorhersagen und auch kommunikationswissenschaftliche und psychologische Methoden zu berücksichtigen.

2024 – wieder ein Jahr der Wetterextreme

Das Jahr 2024 zeigt es wieder besonders deutlich: Europa ist durch den Klimawandel besonders stark betroffen, und zwar in unterschiedlicher Weise. Südosteuropa erlebte 2024 mehrere besonders starke Hitzewellen, darunter die längste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Zudem herrschte dort eine ausgeprägte Dürre. Im selben Jahr gab es in anderen Teilen Europas die größten Überschwemmungen seit 2013, die 335 Todesopfer forderten, rund 413.000 Menschen betrafen und Schäden in Höhe von etwa 18 Milliarden Euro anrichteten. So verursachte Sturmtief Boris im September in acht Ländern Mittel- und Osteuropas verheerende Überschwemmungen, im Oktober führten Rekordniederschläge zu einer Katastrophe in der spanischen Region Valencia.

Starkregen 2021: Extremwetter mit unterschiedlichen Folgen

Doch extreme Wettereignisse können sehr unterschiedliche Folgen haben. Das Jahr 2021 veranschaulicht das besonders gut. Im Juli führte andauernder Starkregen zu einer Flutkatastrophe, die vor allem im Ahrtal, aber auch in anderen Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen viele Todesopfer forderte und Schäden von einigen Milliarden Euro verursachte. Eine ganz ähnliche Wetterlage im selben Jahr in Brandenburg hatte vor allem die Folge, dass die ausgetrockneten sandigen Böden endlich mal wieder reichlich mit Wasser versorgt wurden. Das Beispiel zeigt: Präzise Wettervorhersagen sind wichtig, aber sie reichen nicht, um Unwetterschäden zu reduzieren. Das gilt nicht nur für Starkregen, sondern auch für Dürren und andere meteorologische Extremereignisse.

KI-gestützte Frühwarnsysteme sollen bei Vorsorge unterstützen

In einer in Nature Communications veröffentlichten Studie hat ein internationales Team um Markus Reichstein und Vitus Benson, die am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena forschen, ein Konzept für neuartige durch künstliche Intelligenz unterstützte Frühwarnsysteme entwickelt. Diese sollen Hilfsorganisationen und Einrichtungen des Katastrophenschutzes zum einen helfen, Schäden etwa durch Dürren oder Starkregen dort zu reduzieren, wo sie besonders groß sein könnten. Die Organisationen orientieren sich heute bereits an Extremwettervorhersagen, um Katastrophen durch vorbeugende Maßnahmen abzuwenden oder zumindest Einsätze in Katastrophengebieten frühzeitig zu planen. Die verbesserte KI-gestützte Frühwarnung ermöglicht es ihnen, ihre Mittel noch gezielter und effizienter einzusetzen. „Frühwarnsysteme werden meist auf kurzfristige Zeiträume von Wochen bis wenigen Monaten ausgelegt, um akute Schutzmaßnahmen zu ermöglichen. Doch wir sollten Frühwarnung auch strategisch über längeres Zeiträume – von mehreren Jahren bis Jahrzehnten – denken, um tiefgreifende Vorsorgemaßnahmen zu planen und umzusetzen.“ erläutert Reichstein. Dabei kann das Frühwarnsystem Hinweise geben, wie Gesellschaften sich an die Extremereignisse anpassen können, die mit dem menschengemachten Klimawandel immer häufiger und heftiger werden. Das kann bedeuten, dass Infrastruktur ausgebaut wird oder Siedlungen verlegt werden, um Hochwasserschäden zu vermeiden. Es kann aber auch heißen, dass die Land- und Forstwirtschaft sich auf die veränderten klimatischen Bedingungen einstellt und etwa trockenheitsresistentere Feldfrüchte anbaut, als das vielleicht seit Generationen der Fall war.

Integration von kommunikativen und psychologischen Maßnahmen

Die Maßnahmen, die Überschwemmungen, Ernteausfälle und Hungerkatastrophen vermeiden, können sehr weitreichend und teuer sein. „Wir müssen Extremwetterereignisse und ihre möglichen Folgen nicht nur so präzise wie möglich vorhersagen“, betont Markus Reichstein. „Genauso wichtig ist es, Erkenntnisse aus der Kommunikationswissenschaft und Psychologie einzubeziehen, damit Warnungen verstanden, ernst genommen und in wirksames Handeln übersetzt werden – sowohl individuell als auch politisch.“ Dementsprechend sieht das Frühwarnkonzept, das Reichstein und seine Kolleginnen und Kollegen vorgestellt haben, sechs Module vor: Angefangen bei zeitlich und räumlich hochaufgelösten Messungen von Extremwetterfolgen über präzise Wetterprognosen und Vorhersagen der ökologischen und ökonomischen Folgen bis hin zu kommunikationswissenschaftlichen und psychologischen Methoden, die Warnungen möglichst effektiv machen sollen. Künstliche Intelligenz kann dabei sowohl für die Vorhersage der Schäden von Extremwettereignissen als auch für die effektive Kommunikation durch Sprache, Bild und Ton nützlich sein.

KI lernt aus Beispielen, wo Extremwetter welche Folgen hatten

Mit herkömmlichen physikalischen Klimamodellen lässt sich nicht so genau berechnen, wo sich eine Dürre oder ein Starkregen wie auswirken wird. Denn dabei spielen viele Einflussfaktoren eine Rolle. „Um die Folgen eines Extremwetterereignisses genau prognostizieren zu können, müssen etwa die Bodenbedingungen, Vegetation und Geländeform sehr lokal berücksichtigt werden“, sagt Reichstein. „Wir können mit 20 Meter Auflösung, also für jeden Acker oder Garten vorhersagen, welche Schäden zum Beispiel eine Dürre anrichten kann.“ Dies ermöglichen die umfangreichen Daten, die durch die Copernicus-Satelliten zur Verfügung stehen. Eine KI kann dann aus den Folgen lernen, die ein Ereignis dieser Art in einem geologisch und ökologisch vergleichbaren Gebiet hatte. Bei der Vorhersage, wie sich Dürren auf verschiedene Ökosysteme auswirken, ist das Team um Markus Reichstein bereits sehr gut. Andere Forschungsgruppen haben schon Algorithmen entwickelt, die Folgen von Starkregenereignissen vorhersagen können. 

Gefragt ist eine KI, die Zusammenhänge versteht

Das Ziel sind also Frühwarnsysteme, die die Folgen verschiedener Extremwetterereignisse überall auf der Welt zuverlässig ermitteln, effektiv davor warnen und idealerweise auch Maßnahmen vorschlagen, die Schäden minimieren. Doch bis dahin sind noch ein paar Hürden zu nehmen. Das betrifft nicht nur die Verfügbarkeit von aussagekräftigen Daten und die Verknüpfung von Aussagen über Effekte im Großen wie im Kleinen. Das betrifft auch ein Problem, das bei der Weiterentwicklung von Methoden künstlicher Intelligenz derzeit generell eine große Rolle: Die Erklärbarkeit ihrer Entscheidungen. Künstliche Intelligenz leitet ihre Ergebnisse aus statistischen Zusammenhängen ab und nicht aus kausalen. „Dieser März war so trocken wie noch nie in Deutschland. Damit ein KI-Frühwarnsystem so etwas vorhersagen kann, darf es nicht bloß pauschalisieren und sagen, Deutschland im März hat keine so extremen Dürren - vielmehr muss es sich auf die physikalischen Ursachen beziehen, wie etwa die Großwetterlage“, sagt Vitus Benson.

Eine zuverlässige Frühwarn-App für alle

Das Team am Max-Planck-Institut für Biogeochemie entwickelt daher Systeme, die klügere Empfehlungen geben, insbesondere was die Prognose der Folgen von Extremwetterereignissen angeht. „Vor allem im globalen Süden sind Frühwarnmeldungen oft noch eher allgemein gehalten. Unsere Entwicklung zur Vorhersage von Dürrefolgen soll den Zugang demokratisieren und auch kleinräumige Informationen für alle verfügbar machen“, so Benson. Diese Fortschritte will das Team nun auch bei anderen Extremwettern nutzen und dann ein Frühwarnsystem in einer App bereit stellen.

PH

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht